Gaggenau – Der Erfolg während der drei Spieltage war ganz aufseiten der Musik-Theater-Werkstatt-Freiolsheim.
Nach dreijähriger coronabedingter Pause konnte das Ensemble mit der Märchenerzählung „Des Kaisers neue Kleider“ von Hans Christan Andersen am Freitagabend endlich wieder durchstarten und ein Jahr Probezeit hinter sich lassen.
Wer in der ausverkauften Mahlberghalle glaubte, Märchen seien nur etwas für Kinder, wurde schnell eines Besseren belehrt. Der Autor und Regisseur Peter Espeloer nahm sich während der Pandemie das Märchen gründlich vor und machte daraus ein modernes Theaterstück voller Wortwitz und heitere Köpenickiaden (eine Form der Hochstapelei, bei der durch Amtsanmaßung Gehorsam erschlichen wird). Vom Publikum wurde der Auftritt mit Szenen und einem nicht endend wollenden Schlussapplaus honoriert. Eitelkeit, Überheblichkeit, Leichtgläubigkeit, Unsicherheit, Dummheit und unkritische Akzeptanz gegenüber angeblicher Autoritäten und Experten: Das alles verpackte der dänische Dichter des 19. Jahrhunderts in sein 1837 erschienenes Märchen. Im Mittelpunkt seiner Erzählung steht der Kaiser von Unserlandien (Herbert Gräßle), ein Liebhaber feiner Kleidung und nie zufrieden mit dem, was er gerade trägt. Aus Angst um Stellung und Ruf spielt der Hofstaat das Spiel mit und entscheidet sich gegen die Wahrheit, dem Kaiser zu sagen, dass er Betrügern aufgesessen ist und es gar keine zarten Stoffe gibt. Denn als dumm gilt derjenige, der das imaginäre Gewebe nicht sehen kann. Der Bann bricht, als ein Kind die Wahrheit ausspricht und der König sich seiner Blöße bewusst wird. Der Schauspieler Espeloer, bekannt aus dem SWR-Tatort, der auch Regie führte, treibt in seinem Skript mit Nonsens Sätzen und Wortkaskaden den Inhalt des Märchens zum Vergnügen des Publikums auf die Spitze. Herausgekommen ist eine kurzweilige Inszenierung, eine wunderbare Persiflage mit aktuellen Anspielungen. Das Bühnenbild kann getrost als minimalistisch bezeichnet werden, was auch so gewollt ist, wie Ensemblemitglied Heide Glasstetter und „Ministerin für politische Schönheit“ im Gespräch ausführt. Das Publikum soll sich auf Wesentliches konzentrieren. Unter anderem auf ein gut gelauntes, spiel- und singfreudiges Ensembles, das gerappt oder im Walzertakt sein Bestes gab. Besonders hervorzuheben sind die Szenenübergänge. Dabei bediente man sich der Kunst des Scherenschnitts, was das Gezeigte in seiner Wirkung noch verstärkte und dem Spiel der Weber Klaus Haundem (Mechthild Gilbert-Rönelt) und Hans Tsunda (Carola Schöller) eine zusätzliche Facette hinzufügte. Ebenfalls Teil der Inszenierung waren Simone Müller, Klaus Braun, Anita und Lisa Wunderlich, Sylvia Thiele und Regine Zimmer. Die Mädchen mit Zöpfen wurden von Katharina und Alexandra Müller gespielt. Die musikalische Leitung hatte Bernd Schöller (Keyboard) inne. Mit ihm musizierten Christian Prost (Bass) und Bernd Werner (Percussion). Im kommenden April verlässt das Theater seine Bühne in der Mahlberghalle, um zum zweiten Mal nach 2019 ein Gastspiel in Spielberg zu geben.
Veronika Gareus-Kugel: „Viel Wortwitz und heitere Köpenickiaden, BADISCHES TAGBLATT/ NR. 246, 24.10.2022, S. 7